Dienstag 21 September 2021, 16:00

Die TSG-Experten analysieren die Gruppenphase und blicken voraus auf die kommenden Partien

  • Die Mitglieder der technischen Studiengruppe der FIFA (TSG) Graeme Dell und Miguel Rodrigo analysieren die Gruppenphase

  • Sie gehen besonders auf die technischen und taktischen Entwicklungen ein, die sie beobachten konnten

  • Sie erzählen uns, was Sie in der K.o.-Phase erwarten

Die Gruppenphase der FIFA Futsal-Weltmeisterschaft™ ist beendet. Die besten Mannschaften haben sich für die K.o.-Phase qualifiziert, man kann erste Rückschlüsse ziehen und darüber sprechen, was uns ab der nächsten Runde erwartet.

Zwei ausgewiesene Futsal-Experten und Mitglieder der technischen Studiengruppe der FIFA (TSG), nämlich der Engländer Graeme Dell und der Spanier Miguel Rodrigo, analysieren für FIFA.com die Gruppenphase und erklären den Lesern ihre Sichtweise auf das, was uns ab dem Achtelfinale erwartet. Hier stehen sie uns Rede und Antwort:

FIFA Futsal Instructor Graeme Dell

Wenn wir Ihre ersten Tage als Futsal-Trainer mit der jetzigen Gruppenphase der Futsal-Weltmeisterschaft vergleichen...wie war aus Ihrer Sicht diese Entwicklung?

Miguel Rodrigo: Das Körperliche und die Abwehr dominieren über Angriff und Talent. Als ich vor 20 Jahren anfing, zu trainieren, gab es viel mehr Offensiv-Phasen, mehr Talent und mehr Freiheiten für die Spieler. Außerdem haben die Länder, in denen es keinen Futsal gab, eine tolle Entwicklung genommen. Im Achtelfinale sind viele asiatische Mannschaften vertreten, ihre Spieler haben sich ebenso verbessert wie die Fachkenntnisse ihrer Trainer. Dies liegt hauptsächlich an der Verpflichtung von brasilianischen und spanischen Trainern.

Außerdem ist eine taktische Weiterentwicklung und Spielkenntnis zu spüren, da in fast allen Ländern Profi-Futsal gespielt wird. Aber das taktische System unterdrückt noch das Talent der Spieler. Ich denke, dies ist eine vorübergehende Phase. Mit fortschreitender Reife werden die Trainer verstehen, dass Taktik und individuelle Technik eher den Unterschied ausmachen können, als das Kollektiv und das Spielsystem. Ich möchte betonen, dass die meisten Mannschaften aus älteren Spielern bestehen und es ist wichtig zu erkennen, dass die jungen Spieler in der Gruppenphase noch nicht viel Spielzeit bekommen haben. Man muss aber darauf hinarbeiten, dass sie in Zukunft stärker in den Vordergrund rücken.

Graeme Dell: Wir haben seit Thailand 2012 und Kolumbien 2016 mit Blick auf die WM 2021 in Litauen eine Entwicklung im Futsal beobachten können. Wir haben 2016 einen Hierarchie-Wechsel innerhalb der Mannschaften mit einem neuen Weltmeister Argentinien erlebt. Und es gibt jetzt eine größere Anzahl an Mannschaften, die alles mitbringen, um eine WM zu gewinnen. Das ist gut und wichtig für das Spiel, aber man muss auch Eines beachten: Wenn wir uns das Alter der Spieler ansehen, stellen wir fest, dass sie jetzt im Durchschnitt älter sind. 

Wir müssen uns fragen, was wir tun, um den Sport zu fördern und die nächste Generation weiterzuentwickeln. Wir brauchen starke nationale Meisterschaften und eine gute Ausbildung der jungen Spieler, damit sie in diesen nationalen Ligen fussballerisch wachsen können. Außerdem ist es wichtig, diese Bühne der Weltmeisterschaft zu haben und festzustellen, welche positiven Auswirkungen dies auf die Weiterentwicklung des Spiels hat.

Was war für Sie die bedeutendste technische Weiterentwicklung in der Gruppenphase hier in Litauen?

Miguel Rodrigo: Das technische Niveau hat sich enorm gesteigert. Die Trainer haben verstanden, welche technischen Fähigkeiten ihre Spieler haben müssen und erkennen die Anforderungen an ihren eigenen Stil, an ihre Philosophie und Spielform. Wenn du deine Spieler verstehst und weißt, wie du spielen möchtest, ist es einfacher, deine technischen Fähigkeiten in die Taktik einzubauen. Auf der anderen Seite gibt es Trainer, die ein sehr hohes taktisches Niveau haben, sei es durch Lehrgänge oder die Globalisierung dank des Internets, die versuchen, eine Spielweise zu spielen, die die taktischen Fähigkeiten ihrer Spieler überfordern. Sie verfügen einfach nicht über diese Ausbildung und Technik. Und das birgt eine enorme Gefahr für sie. 

Graeme Dell: Es gibt große Unterschiede zwischen den Mannschaften, was die technischen Fähigkeiten anbelangt. Es gibt zwei Extreme auf dieser Skala: Es gibt Mannschaften mit einem exzellenten Passspiel, die ihre Positionen halten können und es gibt Teams, die Schwierigkeiten haben, drei oder vier präzise Pässe hintereinander zu spielen. Technisch gesehen liegt noch einiges an Arbeit vor uns, um das Spiel zu verbessern.

Wir konnten aber auch einige hervorragende Pässe bewundern. Ganz besonders der Parallelball, der die Seitenauslinie entlang gespielt wird und mit dem ersten Kontakt vom Flügel zum Tor führt. Das ist ein großartiges Beispiel für ein technisch anspruchsvolles Spiel, das bei einer guten Ausführung im Futsal den Unterschied ausmacht.

"El futsal trata más de los jugadores que no tienen el balón que del que lo tiene."
Graeme Dell, miembro del GET de la FIFA

Was war für dich die bedeutendste taktische Weiterentwicklung in der Gruppenphase in Litauen?

Miguel Rodrigo: Das Verständnis von Spielern und Trainern für die verschiedenen Spielsysteme. Wenn man sich die einzelnen Partien ansieht, haben sie im Bereich Taktikwechsel und Flexibilität einen großen Schritt nach vorne gemacht. Die Mannschaften bewegen sich, je nachdem, in welcher Höhe des Spielfeldes sich das Geschehen abspielt. Sie variieren, je nachdem, ob sie unter Druck stehen oder nicht, je nachdem, wer gerade den Ball hat... das ist der größte Fortschritt, vielleicht zusammen mit der Vielzahl der verschiedenen Optionen an Spielformationen. Man sieht auch die Weiterentwicklung und taktische Finesse bei ruhenden Bällen: Es gibt viele Varianten und verschiedene Positionierungen.

Aber trotzdem vermisse ich eine Weiterentwicklung der individuellen Taktik, nämlich dass ein Spieler für sich selbst entscheiden kann. Das ist die Zukunft dieses Sports. Die Trainer können Systeme entwickeln, aber die Weiterentwicklung der individuellen Taktik eines Spielers macht den Unterschied aus.

Graeme Dell: Die große neue Taktik, die ich gesehen habe, ist das hohe Pressing. Die Mannschaften pressen besser und stärker, als wir das von früher kennen und die Mannschaften, die dies verinnerlicht haben, sind auch diejenigen, die in der Gruppenphase am besten abgeschnitten haben. Dabei spreche ich nicht nur vom Pressing gegen den Ball, sondern auch vom Abschneiden der Passwege und dem Druck auf die Gegenspieler ohne Ball. Die Mannschaften, die diese Taktik versucht haben, ohne sie zu beherrschen, haben diesen Fehler teuer bezahlt. Ein zweiter Punkt, der mir aufgefallen ist, ist, dass die Teams ihre Standards sehr stark verbessert haben. Viele von ihnen haben Spiele gewonnen, weil sie schwer auszurechnen sind, taktische Varianten anwenden und eine hohe Präzision in ihren Abschlüssen an den Tag gelegt haben.

Was erwarten Sie in Bezug auf die technische und taktische Entwicklung in der K.o.-Phase?

Miguel Rodrigo: Es ist ein Vorteil, dass sich die besten Mannschaften qualifiziert haben. Die Ängste und taktischen Korsetts werden verschwinden und es wird mit offenem Visier gespielt werden. Es sind vom taktischen und technischen Niveau her die besten Teams, daher müssen es auch die besten Partien werden. Die Trainer müssen ihr gesamtes Potenzial entfalten und ihre Persönlichkeit und alles, was sie trainiert haben, auf das Spielfeld bringen. Wir als Trainer können die technische und taktische Bandbreite der Mannschaften erkennen. Im Achtelfinale erwarte ich, dass die Besten ihr Potenzial zeigen und durch Dribblings, Tore und Spektakel Werbung für Futsal betreiben.

Graeme Dell: Was mich in der Gruppenphase überrascht hat, war, dass viele Mannschaften erst einmal in das Turnier kommen mussten. Sie brauchten das erste Spiel, um in ihren Rhythmus zu kommen. Am zweiten und dritten Spieltag waren sie dann viel besser, auch wenn einige Teams noch nicht ihr ganzes Potenzial ausschöpfen konnten. In den Play-offs werden die Mannschaften Erfolg haben, deren Spiel variabel ist und die wissen, wann sie schnell und wann sie langsam spielen müssen. Ruhende Bälle werde eine bedeutende Rolle einnehmen und es werden sich die Mannschaften durchsetzen, die versuchen, ständig über das gesamte Spielfeld Druck auszuüben. Ich glaube, wir werden ab dem Viertelfinale einige Überraschungen erleben und die Intensität der Partien wird noch einmal zunehmen, denn jetzt steht deutlich mehr auf dem Spiel.

En octavos espero que los mejores muestren su potencial y promocionen el futsal a través de goles, uno contra uno y espectáculo.
Miguel Rodrigo, miembro del GET de la FIFA