Dienstag 21 Dezember 2021, 14:00

Sundhage: Es wird nie wieder eine Spielerin wie Formiga geben

  • Pia Sundhage schwärmt über die kürzlich zurückgetretene Formiga

  • Die Schwedin spricht auch über Marta, Debinha und die "beeindruckenden" Schwedinnen

  • Sundhage ist überzeugt, dass Brasilien bis 2024 endlich einen großen Titel holen kann

Hat irgendjemand in der Geschichte des Frauenfussballs den Rasen mit so vielen Unsterblichen geteilt wie Pia Sundhage? In den 46 Jahren, in denen die temperamentvolle Schwedin mittlerweile im Fussball aktiv ist, ist sie in verschiedenen Funktionen mit oder gegen Spielerinnen wie Michelle Akers, Mia Hamm, Sun Wen, Birgit Prinz, Hanna Ljungberg, Kelly Smith, Abby Wambach, Carli Lloyd, Christine Sinclair, Megan Rapinoe und Marta angetreten.

Doch eine Spielerin, deren Ruhm nicht den der Genannten heranreicht, versetzt Pia mehr als alle anderen in Ehrfurcht: Formiga. Die Mittelfeldspielerin hat gerade ihre 26-jährige Karriere im Nationalteam beendet – nach sieben FIFA Frauen-Weltmeisterschaften™ und ebenso vielen Olympischen Spielen.

In einem weihnachtlichen Gespräch mit der FIFA schwärmt Pia von der 43-Jährigen, verrät, ob sie Marta überreden musste, weiter für Brasilien zu spielen, äußert sich zum besten Team der Welt, bekräftigt ihren Glauben, dass die Seleção eine große Trophäe holen kann, bevor ihr Vertrag 2024 ausläuft, und spricht über das Leben in Rio de Janeiro.

FIFA: Was sagen Sie zu Formigas Karriere? Pia Sundhage: UN... GLAUBLICH. Ich muss sagen, ich habe sie bei all diesen Olympischen Spielen gesehen, denn ich selbst war auch dabei. Aber ich habe gespielt, gescoutet und trainiert. Sie hingegen hat immer gespielt – sonst nichts! Sieben Olympische Fussballturniere und sieben Weltmeisterschaften zu spielen, wow, das ist einfach unglaublich. Es lässt sich kaum in Worte fassen, wie groß sie ist. Wie die Leute sie ansehen, wie die Leute sie behandeln, wie dankbar die Leute für alles sind, was sie geleistet hat. Sie ist keine Frau der großen Worte. Sie ist vielmehr eine Frau der großen Taten. Die Art und Weise, wie sie gespielt hat, überall auf der Welt, ist wirklich beeindruckend. Ich sage es jetzt ganz offen: Es wird nie wieder eine Spielerin wie Formiga geben. Nicht jetzt, nicht in 100 Jahren, nie wieder. Ich glaube nicht, dass man so etwas über irgendjemand anderen sagen kann. Auch nicht bei den Männern. Und wir dürfen nicht vergessen, wie der Frauenfussball in den Anfängen behandelt wurde. Sie hat so viele Barrieren durchbrochen – für ehemalige Spielerinnen, für aktuelle Spielerinnen, für zukünftige Spielerinnen, für alle, die mit dem Frauenfussball zu tun haben – nicht nur durch ihren Fussball, sondern auch durch die Person, die sie ist, ihre Einstellung. Man kann sich kaum vorstellen, wie viele Hindernisse sie überwinden musste, wie oft man ihr 'Nein' gesagt hat – aber sie hat einfach weitergemacht und bis heute unbeirrt ihren Fussball gespielt. Ich bin wirklich sehr, sehr stolz auf Formiga. Sie weiß gar nicht, wie viel sie mir und dem Frauenfussball bedeutet.

Wie war ihr Abschiedsspiel? Ich fand es sehr emotional. Ich hatte einen ähnlichen Weg – auch ich durfte am Anfang nicht Fussball spielen. Marta kam hierher und hielt eine Rede, das war wirklich schön. Für mich war es sehr emotional, Formiga zu sehen und zu erleben, wie ihre Mutter ins Stadion kam, um sie zum ersten Mal spielen zu sehen – das war wirklich etwas ganz Besonderes. Ich werde mich immer an diesen Tag und ihre letzten 15 Minuten in Brasiliens Nationalteam erinnern.

Was sagen Sie zum Abschneiden Brasiliens bei den Olympischen Spielen? Es war wegen COVID eine schwierige Situation. Wir konnten uns nicht gut vorbereiten und haben zu wenig Freundschaftsspiele bestritten. Und im Elfmeterschießen auszuscheiden, ist natürlich immer eine bittere Sache. Aber ich denke, die ganze Sache hat uns eine Botschaft vermittelt: Wir müssen es besser machen. Ich würde sagen, das Abschneiden war fast in Ordnung, aber die Leistungen hätten viel besser sein können, deshalb kritisiere ich mich selbst und die Trainerarbeit. Es ist lange her, dass Brasilien bei Olympischen Spielen oder einer Weltmeisterschaft eine Medaille geholt hat, und das wollten wir unbedingt ändern. Wir werden jetzt alles tun, um uns zu verbessern, damit wir das 2023 ändern können.

Was sagen Sie zum Turnierverlauf und zum Abschneiden Schwedens? Ich finde, das war schon ziemlich beeindruckend. Ich bin auch ein bisschen stolz, weil ich bei der Europameisterschaft [2013] Trainerin Schwedens war. Wir haben wirklich gut gespielt und sind im Halbfinale ausgeschieden. Danach ist vieles passiert, es gab Höhen und Tiefen. Peter Gerhardsson hat einen sehr, sehr guten Job mit dem Team gemacht. Ich habe Fridolina Rolfo, Stina Blackstenius und viele weitere trainiert, und sie haben sich zu wirklich guten Spielerinnen entwickelt, die einen großen Einfluss haben. Das Finale und die Silbermedaille waren unglaublich. Ich bin stolz darauf, dass ich diese Spielerinnen kennengelernt habe und auf das, was sie geleistet haben. Peter und sein Team haben hervorragende Arbeit geleistet, und ich freue mich sehr für Schweden.

Und wen halten Sie derzeit für das beste Team der Welt? Oh, was für eine Frage. Es ist schwer, Teams wie Frankreich und England zu beurteilen, weil wir sie seit der Weltmeisterschaft nicht mehr bei einem großen Turnier gesehen haben. Die USA waren bei der Weltmeisterschaft sehr beeindruckend, sie schienen dem Rest ein gutes Stück voraus zu sein, und sie sind immer sehr beeindruckend. Aber ich muss auch Schweden nennen. Meiner Meinung sind die USA und Schweden im Moment die beiden besten Teams der Welt.

Hatten Sie nach den Olympischen Spielen ein Gespräch mit Marta und mussten Sie sie überreden, weiter für Brasilien zu spielen? Ich spreche immer wieder mit Marta und hatte auch direkt nach den Olympischen Spielen ein Gespräch mit ihr. Wir sprachen über das letzte Spiel, und sie sagte, wir können es eigentlich viel besser machen. Ich habe ihr gesagt, dass ich möchte, dass sie an die Zukunft denkt, und ihre Antwort war ziemlich direkt: Sie will weiterhin das schönste aller Spiele spielen und sie will weiterhin das Nationaltrikot tragen und ihr Land vertreten. Es war sehr schön, dies zu hören. Marta ist nicht mehr die Spielerin, die ein Spiel von Anfang bis Ende dominiert, wie sie es früher konnte. Ich weiß noch, wie ich 2011 als Trainerin gegen sie angetreten bin. Wow, sie war gut. Und sie bedeutet sehr viel für dieses Team. Wie sie sich verhält und wie sehr sie gewinnen will, ist ansteckend. Sie inspiriert die jungen Nachwuchsspielerinnen, aber auch die Spitzenspielerinnen gleichermaßen. Und Marta kann immer noch den entscheidenden letzten Pass spielen. Und das Beste an Marta ist neben ihrem großen brasilianischen Herzen, dass sie immer versucht, ihr Bestes zu geben: im Training, in Spielen, in Interviews. Ihre Bedeutung für den brasilianischen Frauenfussball ist enorm. Sie ist eine der größten Botschafterinnen, die dieser Sport je gesehen hat. Ich habe viele bedeutende Spielerinnen in den USA gesehen, aber Marta ist wirklich eine überragende Figur, sie ist sehr wichtig für Brasilien und den Frauenfussball.

Und was sagen Sie zu Debinha? Debinha ist mir seit dem ersten Tag, an dem ich sie trainiert habe, ans Herz gewachsen, und sie wächst mir immer mehr ans Herz. Sie war schon immer sehr talentiert, aber jetzt schießt sie auch noch Tore. Sie geht auf die Außenbahnen, sie spielt in der Mitte, sie stößt in den Rücken der Abwehr vor. Haben Sie mal beobachtet, wie viel sie rennt? Sie ist uneigennützig und holt das Beste aus ihren Mitspielerinnen heraus. Sie ist trickreich, schlau, verschlagen, hat eine große Ausdauer und schießt Tore – das ist eine tolle Kombination. Ich sage Ihnen eines: Ich bin froh, dass Debinha Brasilianerin ist.

Sie haben Ihren Vertrag bis 2024 verlängert. Wie zuversichtlich sind Sie, dass Brasilien entweder die Weltmeisterschaft 2023 oder das Olympische Fussballturnier der Frauen in Paris im Jahr darauf gewinnen kann? Die Weltmeisterschaft und die Olympischen Spiele sind unglaubliche Turniere. Um zu gewinnen, braucht man natürlich auch ein bisschen Glück, aber man muss sich auch auf das Glück vorbereiten. Das habe ich eigentlich von Jill Ellis gelernt. Als sie meine Assistenztrainerin war, sagte sie mir: 'Die Weltmeisterschaft und die Olympischen Spiele sind keine 100-Meter-Läufe – sie sind Marathonläufe'. Und damit hat sie absolut Recht. Also haben wir unseren Marathon direkt nach den Olympischen Spielen begonnen. Wir haben einige junge Spielerinnen ins Team geholt, wir haben unsere Spielweise ein wenig verändert und wir versuchen, uns weiter zu verbessern. Wenn wir so weitermachen und unsere Vorbereitungen gut verlaufen – die Copa América, eine erfolgreiche Qualifikation für die WM – dann haben wir gute Chancen. Wir haben technisch hochklassige Spielerinnen, die zudem ziemlich schnell sind. Jetzt geht es darum, daraus ein geschlossenes Team zu formen, und das ist meine Aufgabe. Ich bin überzeugt, dass wir genug gutes Personal im Trainerstab haben, um das zu schaffen. Um also Ihre Frage zu beantworten: Ich denke, wir haben gute Chancen, und das ist inspiriert uns.

Leben Sie gern in Brasilien? Ich liebe es. Es ist warm, und ich mag auch die warmherzigen Menschen dort. Es ist eine Herausforderung, weil es eine ganz andere Kultur ist. Als Schwedin ist man immer pünktlich, man ist gut organisiert. Hier ist das ein bisschen anders! (lacht) Aber ich habe meine paciência (portugiesisch für 'Geduld') verbessert. Ich bin entspannter und lasse mich nicht mehr so sehr von diesen Dingen stressen. Aber das Leben in Rio ist wunderbar und ich liebe es.